Zum vorerst letzten Mal tagte die Stadtverordnetenversammlung von Oranienburg in der Orangerie im Schlosspark. Da diese jedoch Anfang des kommenden Jahres saniert wird, weicht die Kommunalvertretung vorübergehend in den Kreistagssaal aus. Eigentlich hatte Stadtverordnetenvorsteher Dirk Blettermann mit ein einer besinnlichen und angesichts der überschaubaren Tagesordnung auch kurzen Weihnachtssitzung gerechnet. Es sollte anders kommen.
Während die FDP noch erfolglos versucht hatte, alle Vorlagen mit Bezug zum Haushalt 2024 von der Tagesordnung zu nehmen, da dieser erst kurzfristig eingebracht wurde, nahm die Verwaltung selbst eine ihrer Vorlagen aus dem Programm.
Plakate, soweit das Auge blickt
Es ging dabei um eine Änderung der Sondernutzungssatzung, die u. A. die Anzahl der Plakate hätte reduzieren sollen, die Parteien anlässlich von Wahlen im Stadtgebiet aufhängen dürfen. Über die maximale Anzahl je Partei und zusätzlichen Auflagen sei man sich aber in der Gesprächsrunde beim Bürgermeister („Ältestenrat“) nicht einig geworden. Mit anderen Worten: Sollte es nicht gelingen, in der ersten Sitzung nach dem Jahreswechsel noch eine Begrenzung zu beschließen, so heißt es besonders für SPD, CDU und AfD wohl wieder „Feuer frei!“. Wir Piraten möchten dennoch versuchen, mit den anderen Parteien noch zu einer sinnvollen Übereinkunft zu kommen – zur Not als freiwillige Selbstbeschränkung, auch wenn die „Großen“ vermutlich keiner spürbaren Reduzierung des Plakate-Irrsinns zustimmen werden.
„Gute Vorsätze“ und schlechte Angewohnheiten
Ein weiterer Änderungsantrag zur Tagesordnung kam von der AfD. Diese wollte das Thema Lindenstraße per Eilantrag noch einmal auf die Tagesordnung holen. Hintergrund war, dass die Stadtverordneten – auf Druck von uns Piraten – beschlossen hatten, als Kompensation für die 25 wegfallenden Parkplätze in der Lindenstraße den Park-and-Ride-Parkplatz am Bahnhof zeitnah durch ein Parkhaus zu erweitern. Die Mitteilungsvorlage der Stadt zum Sachstand der Vorplanungen erweckten jedoch den Eindruck, als ließe man sich in der Verwaltung sehr viel Zeit. In Sachen Parkraum scheint das inzwischen zur schlechten Angewohnheit zu verkommen. Bereits bei der im Dezember 2020 beschlossenen Einrichtung eines temporären Parkplatzes auf der Brachfläche in der Rungestraße verzögerte sich das Verfahren so lange, dass eine Umsetzung wohl nicht mehr realistisch ist. Der Dringlichkeit des AfD-Antrages wurde jedoch nicht stattgegeben. Die Bauarbeiten in der Lindenstraße dürften also bald beginnen und der Parkdruck im Bahnhofsviertel weiter steigen. Sicher nicht ganz zu Unrecht fühlen sich einige Stadtverordnete von der Verwaltung hintergangen. Seinem Unmut über die mangelnde Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung machte dann der Stadtverordnete Michael Ney (CDU) Luft und erinnerte den Bürgermeister daran, dass Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung keine Bittstellungen seien, sondern von der Verwaltung umzusetzen sind. So sei etwa zum Beschluss des Wiederaufbaus des historischen Rathauses „Hotel Eilers“ seit zweieinhalb Jahren nahezu nichts geschehen. Als der Bürgermeister darauf erwiderte, dass Beschlüsse erst einmal nur „gute Vorsätze“ seien und im Haushalt der Stadt die Wahrheit stecke, stiegt der Unmut etlicher Stadtverordneten hörbar. Der Stadtverordnete der Piraten, Thomas Ney, war dem Bürgermeister vor, dass es sich hierbei nicht um ein singuläres Problem handele, sondern die Stadtverordneten schon mehrfach Beschlüsse zur Bekräftigung bereits beschlossener Beschlüsse hätten fällen müssen, weil die Verwaltung diese schlicht nicht umsetze. Mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen sicherte Thomas Ney zu, dass – sofern es an Personalstellen mangele – diese bereitgestellt werden könnten. Am fehlenden Geld seien die Realisierungen bisher jedenfalls nicht gescheitert. Insofern ist auch unklar, welche Gegebenheiten der Bürgermeister meinte, als er sagte, man bekomme „unter den gegebenen Möglichkeiten […] viele PS auf die Straße.“
Nach längeren Diskussionen kam man dann endlich zur Behandlung der Anträge. Hierunter waren auch zwei Anträge mit Beteiligung der Piraten. Zum einen soll künftig das Kita- und Schulessen weiter verbessert werden und der Gedenkort für das Konzentrationslager Oranienburg würdig umgestaltet werden. Der letzte Antrag wurde leider von sachfremden Diskussionen überlagert, doch dazu später mehr.
Volksverarschung von angeblich Bürgernahen
Danach stand ein Antrag der AfD zum Thema Grundsteuer auf der Tagesordnung. Dieser sollte laut Antragstext den Grundsteuerhebesatz so anpassen, dass „für die Bürger keine höheren Belastungen durch die Neuberechnung der Steuerlast entstehen“. Leider war der Antrag handwerklich schlecht gemacht, denn er ließ weitestgehend offen, was konkret damit eigentlich gemeint war.
Wenn dieser Antrag bedeuten sollte, dass die Grundsteuer nach der Reform nicht höher ausfallen solle als davor, so war der Antrag überflüssig, denn genau das war bereits das erklärte Ziel des Gesetzgebers und von den Kommunen längst zugesagt. Demnach sollen die Hebesätze so angepasst werden, dass das Grundsteueraufkommen nach der Reform insgesamt gleich bleibt. Das Brandenburger Finanzministerium hat zudem angekündigt, ein Transparenzregister einzuführen, in der für jede Gemeinde genau der Hebesatz veröffentlicht wird, der zu einem neutralen Steueraufkommen führt. Somit soll zusätzlicher Druck auf die Gemeinden ausgeübt werden, den Hebesatz tatsächlich zu senken.
Der Trick vieler Gemeinden, die im Windschatten der Reform ihre Steuereinnahmen erhöhen wollen, besteht nun aber darin, bereits jetzt – also vor Inkrafttreten der Reform – schrittweise die Hebesätze zu erhöhen, um sie dann großzügig wieder senken zu können. „Lieber Kunde lass dir sagen, Rabatt wird vorher draufgeschlagen“. Gegen diese Praxis unternahm der AfD-Antrag aber nichts und war damit untauglich, das angeblich gewünschte Ziel zu erreichen.
Vielmehr suggerierte der Antrag, dass es für keinen Bürger zu höheren Belastungen kommen soll. Das aber kann die Stadt gar nicht leisten, denn es widerspräche dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018. Dieses hatte den Gesetzgeber gerade gefordert, dass künftig alle Grundstückseigentümer gleich behandelt werden müssen und nicht einzelne von den fast 90 Jahre alten Einheitswerten profitieren, wohingegen andere benachteiligt werden. Hätte die Stadt den Antrag der AfD also tatsächlich umsetzen wollen, also keinen Bürger gegenüber der alten Regelung schlechter stellen, so hätte sie die den Hebesatz soweit absenken müssen, dass künftig alle so besteuert werden, wie jene, die am stärksten von den veralteten Einheitswerten profitiert haben. Das hätte effektiv eine massive Senkung der Grundsteuer und damit einen Einnahmeverlust in Millionenhöhe für die Stadt bedeutet und diese in ernste Finanzierungsprobleme gebracht. Insofern war der Antrag sogar gefährlich und stand im eklatanten Widerspruch zu den Aussagen des AfD-Stadtverordneten Joachim Radtke, der stets auf die Einnahmensituation der Stadt und die notwendige Haushaltsdisziplin verwies. Eine Annahme des Antrages konnte also kaum im Sinne der Stadt sein.
Warum also stellt man einen solchen Antrag? Der Verdacht liegt nahe, dass man seitens der AfD vielmehr darauf spekulierte, dass die Stadtverordnetenversammlung den Antrag ablehnt und die Partei dann jenen Bürgern, die bisher gegenüber der wertgemäßen Besteuerung zu wenig bezahlt haben, erklären kann, dass die anderen Parteien Schuld an den gestiegenen Grundsteuern dieser Personen sei, da man den AfD-Antrag abgelehnt habe. Dass dieser gar nicht umsetzbar war, ohne an der Situation gar nichts geändert hätte, wäre hierbei sicher unter den Tisch gefallen. Somit fällt der Antrag wohl am ehesten in die Kategorie „durchschaubarer Populismus“. Das bringt vielleicht ein paar Wählerstimmen, aber mit verantwortungsvoller Politik im Sinne unserer Stadt hat das wenig zu tun, sondern ist schlicht Bürgerverarschung.
Der von den Piraten ursprünglich angedachte Änderungsantrag, der den Grundsteuerhebesatz auch bis zum Abschluss des Verfahrens konstant halten soll und damit einer verdeckten Steuererhöhung effektiv einen Riegel vorschiebt, wird künftig im Rahmen der Haushaltsdebatte behandelt werden.
Die anderen Beschlüsse – etwa die Wirtschaftspläne der städtischen Gesellschaften und einige Bebauungspläne – waren weitaus weniger kontrovers. Mediale Aufmerksamkeit erlangten eher Ereignisse abseits inhaltlicher Beschlüsse.
Ein kalkulierter Eklat
So sprach der AfD-Stadtverordnete Joachim Radtke anlässlich des Antrages zur würdigen Umgestaltung des Gedenkortes KZ Oranienburg von „linken nationalen Sozialisten“, an deren begangenes Unrecht erinnert werden müsse. Bereits zuvor hatte der AfD-Stadtverordnete eine Ermahnung für Äußerungen erhalten, die die staatliche Ordnung verächtlich machen sollten. Nachdem Joachim Radke auch nach einer weiteren Ermahnung provozierende Aussagen ohne erkennbaren Bezug zum Tagesordnungspunkt tätigte, verwies ihn der Vorsitzende erstmalig in dieser Legislatur der Sitzung. Sicherlich kann man über die einzelnen Aussagen Radkes verschiedener Meinung sein und über die Frage, ob der Verweis aus der Sitzung in der konkreten Situation gerechtfertigt war, vortrefflich streiten. Die Frage ist dabei auch nicht, „was man noch sagen darf und was nicht“ – auch wenn die AfD dies zum Kern ihrer Geschichte von den Ereignissen machen wird. Als Piraten stehen wir ein für die Freiheit des Wortes und das Recht, diese zu äußern. Was hier passiert ist, war aber lediglich eine banale Verletzung der Geschäftsordnung, indem wiederholt nur provoziert, aber nicht zur Sache gesprochen wurde. Klar ist aber, dass der stete Versuch, beinahe jede Sachdiskussion mit bundes- oder gar weltpolitischen Auseinandersetzungen zu vermengen, einem erkennbaren Muster folgen. So befindet sich die AfD-Fraktion bereits seit einigen Monaten in einer Art vorgelagertem Wahlkampf, der die Stadtverordnetenversammlung nicht als Ort der inhaltlichen Diskussion um die Sache und des Ringens um die besten Lösungen versteht, sondern als Bühne für die eigene Inszenierung. In diesem Sinne hatte die AfD in der Opferrolle mit diesem Theaterstück sicherlich Erfolg. Der Stadt und seinen Bürgern dürfte es selbstverständlich wenig nutzen.