Am 26. Oktober tagte die Stadtverordnetenversammlung von Oranienburg unter Corona-erschwerten Bedingungen erstmalig mit parallelem Livestream im Internet. Dieser wurde auf Antrag der Piraten im vergangenen Dezember beschlossen. Stadtverordnetenvorsteher Dirk Blettermann war in seiner Rolle nicht zu beneiden. Zum einen hatte die Sitzungsleitung Corona-bedingte neue Hygieneregeln inklusive regelmäßiger Lüftungspausen durchzusetzen. Zum anderen schienen einzelne Stadtverordnete durch das größere Publikum im Internet in zusätzliche Diskussionslaune versetzt worden zu sein. Nachdem nach gut eineinhalb Stunden Diskussion noch immer kein Beschluss gefasst worden war, glaubte wohl niemand mehr daran, die gesamte Tagesordnung abarbeiten zu können. Dass dies am Ende doch fast – bis auf den nicht-öffentlichen Teil – geschafft wurde, ist zum einen den konsequenten Ermahnungen des Vorsitzenden, wohl aber auch der zunehmenden Ermüdung der Teilnehmer zu verdanken.
Dabei enthielt die ursprünglich 25 Punkte umfassende Tagesordnung auf den ersten Blick kaum strittige Beschlussvorlagen. Allerdings hatten viele Stadtverordnete Fragen an den Bürgermeister, nachdem dieser bekannt gegeben hatte, dass sowohl der Weihnachtsmarkt der Stadt, als auch der alternativ geplante Adventspaziergang in Folge der gestiegenen Corona-Infektionszahlen abgesagt werden müsse. So zeigte sich der SPD-Stadtverordnete Björn Lüttmann irritiert, dass gleichzeitig ein bis in den Sitzungssaal hörbarer Rummel in der Stadt stattfinde und zuvor noch ein Food Fest auf dem Schlossvorplatz stattgefunden habe. Enrico Geissler (Die Linke) merkte an, dass die stadteigene SOG zudem vermeintlich als Veranstalter eines eigenen Weihnachtsmarktes auftrete. Sozialdezernentin Stefanie Rose begründete dies damit, dass die Stadt hier lediglich als Vermieter der Flächen auftrete und die jeweiligen Veranstalter eine Genehmigung des Gesundheitsamtes aufweisen könnten. Zum von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Corona-Hilfspaket führte die Sozialdezernentin den aktuellen Sachstand aus. So soll der Nothilfefond künftig im Rahmen der Zuwendungsrichtlinie ausgezahlt werden. Eine Unterstützung von Einzelpersonen sei rechtlich jedoch nicht möglich. Positiv hingegen: Über die Erstattung von Sondernutzungsgebühren wurden die Einzelhändler in Oranienburg bisher um über 25.000 Euro entlastet. Ebenso debattiert wurde über die Anbringung einer Gedenktafel an der ehemaligen Stasi-Kreisdienststelle in Oranienburg. Angesichts zu erwartender Verzögerungen beim Druck sowie der Corona-Pandemie gab der Bürgermeister bekannt, möglicherweise auf eine feierliche Enthüllung am Jahrestag des Mauerfalls zu verzichten. Der Vorschlag der AfD, stattdessen zumindest eine provisorische, laminierte Tafel zu enthüllen, wurde von den anderen Stadtverordneten als unangemessen empfunden.
Für unerwarteten Diskussionsbedarf sorgte auch der Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses, der auf Antrag der Linken zu jeder Sitzung der SVV vorzulegen ist. Nachdem der Ausschussvorsitzende Daniel Langhoff (FDP) diesen verlesen hatte, ergaben sich vor allem bei Linksfraktion und CDU Nachfragen. Für die Linksfraktion bemängelte Enrico Geissler, dass durch die Wiedergabe wesentlicher Gesprächsinhalte der Befragung der ehemaligen technischen Leiterin der WOBA – Frau Marianne Kordecki – der Eindruck erweckt werde, der Untersuchungsausschuss habe deren Aussagen bereits als Tatsachen festgestellt. Dem entgegnete Thomas Ney (Piraten), dass bisher nur ein Gespräch stattgefunden habe, dem weitere folgen würden, weshalb der Bericht nur eine Wiedergabe der bisher getroffenen Aussagen, aber keineswegs ein abschließendes Fazit darstelle. Zugleich kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Linken und Aufsichtsratsvorsitzende Ralph Bujok, dass im Bericht vermerkt werde, dass wesentliche Fragen noch nicht abschließend geklärt seien, was wiederum Aufgabe des Ausschusses sei. Zudem beanstandete er, dass ihm und dem Aufsichtsrat seitens der Stadt nicht vorab Auszüge aus dem Wortprotokoll bzw. der Tonaufzeichnung aus dem Untersuchungsausschuss bereitgestellt würden. Für die CDU-Fraktion wollte Christian Howe wissen, ob auch Gespräche mit anderen Personen der mittleren Leitungsebene städtischer Gesellschaften angedacht seien. Als die Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses angaben, bereits Vorgespräche mit den Stadtwerken geführt zu haben, zeigte sich Ralph Bujok hingegen irritiert, warum der Aufsichtsrat über derartige „Untersuchungen“ nicht vorab in Kenntnis gesetzt worden sei. Zeitweilig entbrannte ein hitziges Wortgefecht zwischen ihm und dem Ausschussvorsitzenden Langhoff, der sich zunächst weigerte, Fragen der Linksfraktion zu beantworten – was diese zum Teil lautstark kommentierte. Auch zwischen dem Mitglied des Untersuchungsausschusses Jörg Roitsch (Grüne) und Bujok kam es zu Unstimmigkeiten, nachdem erstgenannter die Arbeit der Ausschussvorsitzenden zunächst gelobt hatte und dann klarstellte, dass es nicht Aufgabe des Untersuchungsausschusses sei, dem Aufsichtsrat zuzuarbeiten. Bujok hingegen betonte, dass einzelne Aussagen im Untersuchungsausschuss auch im Kreis des Aufsichtsrates angesprochen werden müssten, etwa wenn diese möglicherweise geschäftsschädigend seien. Anerkennende Worte fand auch Björn Lüttmann (SPD) und erinnerte zugleich daran, dass der Ausschuss insgesamt noch Neuland betrete und bisher auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen könne. Die Auswertung der eigenen Arbeitsweise solle daher besser im Ausschuss selbst, als in der Stadtverordnetenversammlung stattfinden. Dem pflichteten auch Langhoff und der stellvertretende Ausschussvorsitzende Thomas Ney bei. Beide erinnerten noch einmal daran, dass alle Fraktionen im Ausschuss vertreten seien und diesen daher auch mitgestalten müssten, da der Ausschuss – anders als die anderen – seine Tagesordnung selbst bestimme. Sicherlich wird es hierzu in der nächsten Sitzung des Untersuchungsausschusses am 3. November noch Gesprächsbedarf geben. Es bleibt zu hoffen, dass sich alle Fraktionen der Bedeutung ihrer Aufgabe bewusst sind, weiterhin konstruktiv im Ausschuss zusammenarbeiten und diesen nicht nur als geeigneten Anlass für verbale Schlagabtausche in der Stadtverordnetenversammlung verstehen. Auf diese Weise dürfte das Vertrauen der Zuschauer im Internet jedenfalls nicht gestärkt werden.
Nachdem die intensiven Diskussionen zunächst abgeschlossen waren, konnte man sich endlich den Beschlussfassungen zuwenden. Ein Antrag der AfD auf eine durchgehende Öffnung der Birkenallee für den Autoverkehr fand keine Mehrheit, da die Stadtverordneten fürchteten, das Problem des Durchgangsverkehrs hiermit nur zu verlagern. Vielmehr solle die Verkehrssituation im gesamten Kontext betrachtet werden. Ein Antrag der CDU, die Verwaltung mit der Vorlage eines Entwurfes für eine neue Baumschutzsatzung zu beauftragen, wurde in die Ausschüsse zurückverwiesen, damit man sich zunächst über die gemeinsamen Ziele verständigen könne. Beschlossen hingegen wurde die neue Satzung für den Bürgerhaushalt, die neben einer Abschaffung der Altersbeschränkung auch mehrere Änderungsvorschläge der Piraten enthält. So wird die Höhe des Bürgerhaushaltes künftig an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Stadt gekoppelt. Zudem dürfen einzelne Projekte jetzt bis zu einem Viertel des Budgets (rund 27.000) statt bisher maximal 20.000 kosten. Auch geringfügige Folgekosten sind künftig möglich, wenn diese sich innerhalb des Kostenrahmens des Vorschlages bewegen. Unterschiedliche Auffassungen zwischen einzelnen Ortsvertretern bestand bezüglich eines Prüfauftrages zur Wasserver- und -entsorgung. So zeigte sich auch Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) zunächst beeindruckt vom Vortrag der Fraktionsvorsitzende der FWO/Piraten, Antje Wendt, welche die vielfältigen Hürden bei einem möglichen Verbandswechsel ansprach. Etwas ratlos fragte der Bürgermeister, ob er die Vorlage lieber zurückziehen solle. Nachdem aber andere Ortsbeiräte sich für den Antrag ausgesprochen hatten, wurde dieser aber doch zur Abstimmung gestellt und fand eine breite Mehrheit. Vertagt wurden jedoch die Anträge auf Entlastung der Bürgermeister Laesicke (junior und senior) für das Haushaltsjahr und den Gesamtabschluss 2018. Mit Verweis auf den laufenden Untersuchungsausschuss und ein vorliegendes Gutachten des Rechnungsprüfungsamtes, welches Unzulänglichkeiten bei der Holding-Gründung festgestellt habe, bat Thomas Ney (Piraten) darum, lediglich eine Teilentlastung auszusprechen. Ob dies rechtlich möglich ist, soll vor einer Entscheidung jedoch zunächst überprüft werden. Eine erste Einschätzung des Rechtsamtes war zuvor nicht allen Stadtverordneten zur Verfügung gestellt worden, weshalb diese sich mehrheitlich nicht in der Lage sahen, noch in dieser Sitzung einen Beschluss zu fällen. Den letzten kontroversen Tagesordnungspunkt bildeten die Pläne für einen Erhalt der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz. Während die Stadt vorgeschlagen hatte, diese künftig über einen Zuwendungsvertrag in Höhe einer halben Personalstelle finanziell zu unterstützen, hatte die Fraktion FWO/Piraten kurzfristig beantragt, stattdessen eine allgemeine Stelle eines „Kulturmanagers“ bei der städtischen TKO gGmbH zu schaffen, der nicht nur der Friedrich-Wolf-Gesellschaft, sondern allen kulturellen Einrichtungen der Stadt gleichermaßen als Ansprechpartner zur Seite stehe. Thomas Ney begründete dies zum einen mit einer erforderlichen Gleichbehandlung aller Vereine und Initiativen, zum anderen mit der üblichen Verfahrensweise, wonach der Fördermittelempfänger zunächst ein eigenes Konzept vorzulegen habe, statt dieses durch die Stadt erarbeiten zu lassen. Mit 14 zu 18 Stimmen bei drei Enthaltungen fand dieser Antrag jedoch keine Mehrheit. Gegen die Beschlussvorlage der Stadt sprach sich auch der CDU-Stadtverordnete Michael Ney aus, der darauf hinwies, dass die Stadt gar nicht für die Friedrich-Wolf-Gedenkstätte zuständig sei, da die Kulturhoheit vielmehr beim Land liege. Angesichts der noch nicht abzusehenden wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise gäbe es zudem keine zusätzlichen Gelder zu verteilen. Dennoch fand der Antrag der Verwaltung am Ende eine Mehrheit. Die restlichen Beschlüsse (v. A. Beschlüsse zu Bebauungsplänen) gaben keinen Anlass zu Diskussionen mehr und wurden mit großer Mehrheit angenommen. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr begonnen werden konnte jedoch der nicht-öffentliche Teil.
Im Ergebnis der Sitzung bleibt festzustellen, dass Entscheidungen angesichts der heterogeneren Stadtverordnetenversammlung auch intensivere Diskussionen nach sich ziehen. Ob diese immer zielführend sind, mag jeder Zuschauer – ob im Sitzungssaal oder neuerdings im Internet – für sich selbst entscheiden. Nicht auszuschließen ist, dass einzelne Stadtverordnete das breitere Publikum als zusätzliche Bühne für parteipolitische Auseinandersetzungen verstehen. So war an diesem Abend der Vorwurf, einzelne Fraktionen befänden sich bereits in einem vorgezogenen Wahlkampf, häufiger zu vernehmen. Ob dies eine geeignete Werbung für die Kommunalpolitik insgesamt ist, darf zumindest bezweifelt werden. Bisher überwiegend positiv kommentiert wurde hingegen die Möglichkeit, der SVV jetzt auch bequem von Zuhause verfolgen zu können. Somit bleibt am Ende zumindest ein kleiner Erfolg. Wer die Sitzung noch einmal nachsehen möchte, findet die Aufzeichnung demnächst auf der Webseite der Stadt.
Nachtrag: Wie die Stadtverwaltung am Nachmittag mitteilte, wurde der Livestream der SVV-Sitzung gut angenommen. Zwischen 50 und 70 Zuschauer, in der Spitze über 100, verfolgten die gestrige Sitzung via Internet.